
Bericht aus einer Notfallambulanz während der Pandemie
Bevor mein Dienst in einer Wiener Notfallambulanz beginnt, blicke ich noch einmal zum Fenster hinaus. Der Kranz aus buntem Herbstlaub, der sich um die stolzen Bäume im Garten der Einrichtung gelegt hat, zeugt von einem rasant voranschreitenden November. Etwas wehmütig wende ich mich ab und steuere auf meine Schutzkleidung zu. Deren ständiges An- und Ausziehen ist während der Pandemie zu einem festen Ritual geworden, Zeit kostet es dennoch. Dass diese wertvoll und rar gesät ist, bestätigt mir ein kurzer Blick auf die vielen wartenden Menschen. Eine Kollegin hat ihren Dienst soeben beendet. Ihr sind die Spuren eines langen Arbeitstages deutlich ins Gesicht geschrieben. Sie wirkt auffallend abgekämpft. Unter großer Anstrengung murmelt sie mir ein paar knappe Grußworte zu und erwähnt dabei, dass sie erneut keine Zeit für ein kurzes Essen gefunden hat.
Mein erster Patient heute berichtet mir von Herzproblemen, die sich bei ihm zuletzt intensiviert hätten. Auch der reguläre Betrieb läuft bekanntlich weiter. Unmittelbar danach betreue ich eine Patientin, die sich mit dem Coronavirus infiziert hat, gleiches gilt wenig später für einen äußerst geschwächt wirkenden Herrn mit blauem Rollkragenpullover, der starke Symptome zeigt. Es geht nun Schlag auf Schlag weiter. Ein älterer Herr in augenscheinlich besorgniserregendem Zustand wird hereingebracht. Er muss prompt auf die Intensivstation verbracht werden, was seine Begleiterin, ich nehme an, es handelt sich dabei um seine Tochter, alles andere als gefasst aufnimmt. Die arme Frau bricht vor meinen Augen weinend zusammen. Ich möchte ihr gut zureden, sehe aber gleichzeitig, dass ein weiteres Rettungsfahrzeug vorgefahren ist – das zweite seit Beginn meiner Dienstzeit. Wenn dieses Tempo anhält, knacken wir heute erneut die Marke von 80 Rettungszufahrten. Ich muss die Frau zurücklassen, rufe nach dem Personal und laufe gleichzeitig hinaus, um den nächsten Patienten zu behandeln. Ich bin noch keine Stunde im Dienst und beginne bereits stark zu schwitzen. Momente wie diese durchlebe ich quasi nonstop Tag für Tag. Ich hoffe, dass es heute nicht noch schlimmer wird.
Der vorliegende anonyme Ereignisbericht eines Wiener Arztes zur Zeiten der Pandemie skizzierte den verstörenden Alltag in den Notfall- und Kinderambulanzen der Stadt. Konnte die Lage bereits vor Ausbruch der Pandemie getrost als angespannt bezeichnet werden, so hat sie die Coronakrise dies deutlich verschärft. Ärztinnen und Ärzte, die bereits davor auf Anschlag gearbeitet haben, mussten physische und psychische Grenzen noch weiter als bisher überschreiten.
Nach dem Ende der Pandemie hat sich diese Situation, zumindest durch Covid-19 bedingte Krankheitsfälle, etwas entspannt, jedoch ist der Personalmangel weiterhin evident, bzw. hat sich dadurch sogar verschärft. Als positiver Faktor ist die Einführung der Erstversorgungsambulanzen (EVAs) in den Wiener Spitälern zu nennen, die eine gewisse Entlastung von Notfallambulanzen, durch Triage und Behandlung von einfachen, unkomplizierten Fällen gebracht haben. Dies ist jedoch nicht wirksam für Kinder- und unfallchirurgische Notfälle, da diese weiterhin ungefiltert in die Ambulanzen kommen. Gleiches gilt auch für Rettungszufahrten, die teilweise ungesteuert und ungefiltert die Spitäler anfahren, wobei davon 90% auf den Wiener Gesundheitsverbund fallen. Die temporäre (?) Schließung des Lorenz-Böhler-Krankenhaus, hat der Situation betreffend die unfallchirurgische Versorgung weiter verschärft. Es ist hier also dringender Handlungsbedarf gegeben, um die Kolleginnen und Kollegen in den enstprechenden Bereichen nachhaltig zu entlasten!
Das Team Szekeres hält fest, dass die belastende Situation insbesondere betreffend Unfall- und Kinderambulanzen weiterhin evident ist. Insbesondere für die dort tätigen Ärztinnen und Ärzte braucht es jetzt dringend wirksame Entlastung. Sowohl Personal als auch Kapazitäten sind an ihrer Belastungsgrenze angelangt, hier besteht akuter Handlungsbedarf.