In Wien war es lange üblich, dass junge Ärztinnen und Ärzte zunächst in andere Bundesländer ausweichen mussten, da es oft an Turnusplätzen mangelte. In den ersten Wochen ihres Dienstes erhielten sie häufig keine ausreichende Einschulung und wurden direkt in Nachtdienste geschickt – oft auf chirurgischen und unfallchirurgischen Stationen. Die erfahrenen Kolleginnen und Kollegen hatten meist kaum Zeit für eine gründliche Einführung. Die Neulinge lernten grundlegende Techniken daher oft durch die Pflegekräfte, die ihnen erklärten, wie Frakturen auf Röntgenbildern zu erkennen sind oder wie man einen Gips anlegt. Der zuständige Oberarzt war oft nicht im Haus, und junge Ärztinnen und Ärzte mussten zweimal täglich Spritzenrunden absolvieren, häufig ohne Unterstützung. Sie waren dabei oftmals selbst für das Mischen von Antibiotika und die Patientenversorgung in der Ambulanz verantwortlich, was oft 25 Stunden durchgehenden Dienst bedeutete – bis zu dreimal wöchentlich bei Personalausfällen.

Überlastung ohne Aussicht auf Verbesserungen

Nach langen Schichten fühlten sich viele wie „überfahren“: Die physische Erschöpfung wurde durch Überforderung verstärkt, und die Freude an der Arbeit verblasste. Von einer guten Ausbildung konnte kaum die Rede sein, da das ständige Wechseln zwischen Abteilungen keine nachhaltige Lernstruktur ermöglichte. Als junge Ärztinnen und Ärzte bei der Generaldirektion des Wiener Krankenanstaltenverbunds (KAV) Anfragen stellten, um die Belastungen zu reduzieren, erhielten sie keine Unterstützung. Die Motivation etwas zu ändern war enden wollend – „Das sei immer schon so gewesen“, hieß es.

Erst nach einigen Jahren und vielen Bewerbungen erhielten einige Ärztinnen und Ärzte schließlich eine erhoffte Ausbildungsstelle in Wien. Viele hatten inzwischen Familie gegründet und mussten Beruf und Familie unter einen Hut bringen. Es bestand der Wunsch nach strukturierten Ausbildungsgesprächen, klaren Erwartungen und flexibleren Dienstplänen – Wünsche, die selten Gehör fanden. Die familiäre Herausforderung war dabei beträchtlich: Wer Kinder hatte, brauchte exzellentes Zeitmanagement, um sowohl als Elternteil aktiv zu sein als auch die medizinische Ausbildung erfolgreich zu absolvieren.

Familienalltag und berufliche Belastung

Die intensiven Dienste, die viele bis zu dreimal wöchentlich übernahmen, belasteten nicht nur die körperliche Gesundheit, sondern auch die persönliche Entwicklung. Viele junge Ärztinnen und Ärzte sahen sich in ihrer Ausbildung stark eingeschränkt. Statt gezielten Lerninhalten standen häufig administrative Aufgaben im Vordergrund. Die Frage, wer sich in dieser Zeit um die Kinder kümmerte, blieb oft unbeantwortet, da die Partnerinnen und Partner der Kollegenschaft meist ebenfalls beruflich stark eingebunden waren.

Eine EU-Beschwerde als Ausweg

Angesichts der unzumutbaren Belastungen stellte sich die Frage: Warum lassen wir uns durch unfaire Arbeitszeiten einschränken? Eine Recherche ergab, dass die Europäische Union eine Arbeitszeitrichtlinie hat, die für Ärztinnen und Ärzte gilt, aber in Österreich nicht vollständig umgesetzt war. Statt über 60 Stunden in der Woche, war es den Ärztinnen und Ärzten eigentlich verboten mehr als 48 Stunden in der Woche zu arbeiten. Eine Kollegin aus unserer Fraktion formulierte gemeinsam mit einem anderen Kollegen eine Beschwerde an die EU-Kommission.

Diese hatte Erfolg. Dadurch ausgelöst drohten Österreich zwei Jahre später Strafzahlungen in Millionenhöhe. Sozialminister Hundstorfer setzte 2015 eine Neufassung des KA-AZG durch, welche die Regelungen arbeitnehmerfreundlicher gestaltete. Die Träger mussten sich fügen.

Ungeklärte Probleme und Forderungen der jungen Generation

Trotz der Erfolge zeigt sich, dass weiterhin viel zu tun ist. Der Patientenzustrom in Krankenhäuser ist nach wie vor enorm und kann allein durch die Hotline 1450 nicht gesteuert werden. Mehr als 80 Prozent der Ärztinnen und Ärzte lehnen heute das Opt-Out von der maximalen 48-Stunden-Woche ab. Die jüngere Generation fordert Zeit für Familie und eine hochwertige Ausbildung. Zahlreiche junge Medizinerinnen und Mediziner verlassen nach ihrer Ausbildung das Spital oder wandern ins Ausland ab, was in den heimischen Krankenhäusern bald zu Kapazitätsengpässen führen könnte.

Flexiblere Modelle und technische Fortschritte gefordert

Im Wiener Gesundheitsverbund gibt es kein grundsätzliches Opt-Out, da die Stadt Wien von Beginn an dagegen war. Nach dem Streik 2016 konnte Thomas Szekeres als Präsident der Wiener Ärztekammer ein flexibles Dienstzeitmodell aushandeln. Trotz Verbesserungen steigen die Arbeitsbelastungen seit Einführung des neuen Arbeitszeitgesetzes 2015 weiter. Mehr Personal und technische Fortschritte sind notwendig, um die Lücken zu schließen – eine Forderung, die wir seit Jahren stellen und die durch die Pandemie noch dringlicher geworden ist.

Ein Ende des „Das-war-schon-immer-so“

Erfreulich ist, dass das neue Arbeitszeitgesetz bei vielen Kolleginnen und Kollegen auf positive Resonanz stößt und die Arbeitsbedingungen verbessert. Die Zeiten, in denen „das war schon immer so“ als Argument galt, sind vorbei. Das neue Gesetz zeigt, dass Effizienz nicht durch längere Arbeitszeiten, sondern durch bessere Organisation und technische Fortschritte erreicht werden kann – ein Fortschritt, der Ärztinnen und Ärzten sowie Patientinnen und Patienten zugutekommt.

Notwendige Maßnahmen für ein zukunftsfähiges Gesundheitswesen

Seit der Einführung des KA-AZG stehen nicht mehr die Arbeitsstunden allein im Fokus. Ärztinnen und Ärzte sollen im Dienst ihre medizinischen Fähigkeiten vertiefen können und nicht durch Verwaltungsaufgaben behindert werden. Der Arbeitgeber trägt die Verantwortung, ein Umfeld zu schaffen, in dem Ausbildung und medizinische Kompetenz gleichermaßen gefördert werden. Es liegt an den politischen Entscheidungsträgern, die nötigen strukturellen und finanziellen Anpassungen vorzunehmen, um das Gesundheitswesen zukunftssicher zu machen.

Kolleginnen und Kollegen geben trotz der Herausforderungen tagtäglich ihr Bestes für die Patientinnen und Patienten und engagieren sich oft weit über ihre eigenen Grenzen hinaus. Ihr Einsatz und ihre Hingabe halten unser Gesundheitssystem aufrecht und motivieren uns, in der Ärztekammer für notwendige Verbesserungen zu kämpfen.