Marlene Sachs Team Thomas Szekeres
Von Marlene Sachs
Dr. Nina Böck im Team Szekeres
und Nina Böck

Angesichts des bereits jetzt drohenden Mangels an Hausärzt:innen fragen wir uns, warum die Ausbildung der Jungmediziner:innen immer noch vernachlässigt wird. Nach einem Jahr Turnusärzt:innen-Vertretung und fast am Ende unserer Ausbildung angekommen, möchten wir sowohl unsere eigenen als auch die Erfahrungen unserer Kolleg:innen Revue passieren lassen. Wir konzentrieren uns in diesem Artikel auf die derzeitige Situation der Turnusärzt:innen in der Basisausbildung und der Allgemeinmedizinausbildung in Wien.

Der harte Anfang

Topmotiviert vom KPJ und mit viel theoretischem Wissen ausgestattet, startet das Gros der Medizinabsolvent:innen mit dem Turnus. Schon bei der ersten Morgenbesprechung wird ihnen die strenge Hierarchie, die im Krankenhaus herrscht, vor Augen geführt. Am Besprechungstisch sitzen nur Oberärzt:innen und Assistenzärzt:innen. Die Turnusärzt:innen quetschen sich in die hinterste Reihe, und Neuzugänge werden oft nicht einmal begrüßt.

Spätestens bei der Dienstplaneinteilung wird den Turnusärzt:innen klar, dass sie die Letzten in der Nahrungskette sind. An vielen Abteilungen suchen sich zuerst die Assistenzärzt:innen ihre Dienste aus, die Turnusärzt:innen übernehmen die übrig gebliebenen Tage (meist die Wochenenden). Komplett neu in der Arbeitswelt, traut sich kaum jemand zu widersprechen. Einige Rotationen später wird den meisten Jungmediziner:innen bewusst, dass sie hart für ihre Rechte kämpfen müssen, um im Krankenhausalltag zu bestehen.

Keine Zeit für adäquate Ausbildung

Die Einschulung an einer neuen Station wird quasi nie von Mitarbeiter:innen innerhalb der Abteilung durchgeführt, sondern in der Regel von anderen Turnusärzt:innen, die oft selbst nur einen Monat mehr an Erfahrung in dem jeweiligen Fach aufweisen. An manchen Abteilungen gibt es überhaupt keine Einschulung, und es wird von Tag eins an erwartet, als vollwertige Arbeitskraft einsetzbar zu sein.

Hinzu kommt, dass oftmals der halbe Tag mit Tätigkeiten zugebracht wird, die nur wenig zur medizinischen Ausbildung beitragen. So sind in der Früh die Blutabnahmen und Venflons, die „die Pflege nicht geschafft hat“ zu erledigen. Anschließend werden die Entlassungsbriefe diktiert. Während der Visite sind Turnusärzt:innen fast ausschließlich für administrative Tätigkeiten zuständig, für die sie sicher nicht sechs Jahre lang Medizin studieren müssten. Dazu zählen telefonische und schriftliche Anmeldungen von Untersuchungen, Schreiben von Konsilen und Aufklärungen über MRTs und CTs. So vergeht die Zeit bis 13 Uhr oft ohne tatsächlich ärztlich tätig gewesen zu sein. 

Nervös durch die Nacht

Häufig absolvieren Turnusärzt:innen aufgrund von Personalknappheit gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit an der neuen Abteilung den ersten Nachtdienst. Eine Einschulungszeit fehlt dann gänzlich. Im Gegensatz zum geistig eher wenig herausfordernden Vormittag wird im Dienst von den angehenden Allgemeinmediziner:innen erwartet, Notfälle auf der Station oder in der Ambulanz mit dem Know-how einer erfahrenen Assistenzärzt:in zu behandeln, ohne jemals dafür ausgebildet worden zu sein. Patient:innen, die in der Nacht ins Krankenhaus kommen, erwartet dann in den Fachambulanzen statt einem Facharzt oder einer Fachärztin oft ein überforderter Turnusarzt oder eine überforderte Turnusärztin. Hilfe der zuständigen Oberärzt:innen sollte möglichst keine in Anspruch genommen werden. Wagen es die Jungärzt:innen doch, deren Nachtruhe zu stören, werden sie nicht selten gemaßregelt und müssen sich rechtfertigen. 

Und alle drei Monate grüßt das Murmeltier

Am Ende einer Rotation haben es die meisten Kolleg:innen trotz dieser widrigen Bedingungen geschafft, sich selbst die notwendigen Skills anzueignen. Ein Gefühl der Teamzugehörigkeit entsteht, die Namen der Ärzt:innen und Pflege sind geläufig, und ein bevorstehender Nachtdienst verursacht keine Panik mehr.

Doch kaum haben Turnusärzt:innen während ihrer Ausbildung einmal diesen Punkt erreicht, geht das Spiel erneut von vorne los. Neue Abteilung, neue Kolleg:innen, neue Regeln. Somit sind angehende Allgemeinmediziner:innen für die Dauer ihrer gesamten Ausbildung nie wirklich Teil eines Teams, leisten aber essenzielle Arbeit, ohne die das System zusammenbrechen würde. Mit jedem Abteilungswechsel müssen sie sich neu anpassen und beweisen. Wertschätzung bekommen sie dafür nur selten, gleichzeitig ist dieser Alltag äußerst zermürbend.

Es gibt Lichtblicke

Zum Glück können auch positive Beispiele genannt werden. Hierbei handelt es sich um Abteilungen, bei denen Turnusärzt:innen länger bleiben oder nicht weiterrotieren wollen, weil sie dort viel lernen: Oberärzt:innen, die um Mitternacht komplexe internistische Fälle besprechen, Primari:ae, die tatsächlich Einführungs- und Abschlussgespräche führen und auch die Ausbildungsärzt:innen namentlich kennen, Assistenzärzt:innen, die regelmäßige Fortbildungen halten, Ambulanzdienste mit guter Supervision und Dienstplanverantwortliche, die Rücksicht auf (Urlaubs-)Wünsche nehmen. Leider stellen diese Abteilungen und Ärzt:innen die Ausnahme und nicht die Regel dar.

Unser Dank gilt an dieser Stelle all jenen, die uns auf unserem Weg den Rücken gestärkt und fachlich ausgebildet haben. Sie haben es durch ihr Handeln (menschlich und fachlich) geschafft, zu echten Vorbildern für uns zu werden.

Fazit

Aufgrund der oben genannten Missstände wird der Turnus in Wien für Medizinabsolvent:innen immer unattraktiver. Viele unserer Kolleginnen weichen ins Ausland oder in andere Bundesländer aus. Um die Allgemeinmedizin aufzuwerten, muss vor allem bei der Ausbildung angesetzt werden. Hier herrscht unserer Meinung nach dringender Handlungsbedarf.

Unsere Forderungen

– Ein:e Mentor:in an jeder Abteilung, der:die nicht nur am Papier jederzeit für Fragen und Probleme zur Verfügung steht

– Sinnvolle Gestaltung des Logbuchs mit realistischen Lernzielen

– Ein Ausbildungskonzept und eine:n Ausbildungsbeauftragte:n, der:die neue Turnusärzt:innen in den ersten Tagen einschult

– Ausreichende fachliche und zeitliche Vorbereitung auf den ersten Nachtdienst

– Konsequente Vidierung von Patient:innen, die in der Ambulanz gesehen werden

– Regelmäßige abteilungsinterne Fortbildungen speziell für Turnusärzt:innen

– Eigene Patient:innen-Führung (Visite) unter Supervision

– Stationssekretär:innen zur Reduktion der administrativen Arbeit

– Reevaluation von in der Vergangenheit reduzierten Diensträdern

– Maximal 60 Betten pro Turnusärzt:in im Dienst

– Vorausschauende Urlaubsplanung (hausübergreifend)

– Springerdienste.

Berichtende Ärztinnen: Marlene Sachs und Nina Böck (vormals Matyas)

Klaus Wirtinger im Team Szekeres für Ärztekammerwahl in Wien 2022
Von Klaus Wirtinger
von Hamid Schirasi-Fard

Kaum ein Begriff erfreut sich derzeit medial einer höheren Popularität als jener der Versorgungsrelevanz. Völlig unstrittig ist, dass diese Beschreibung seit jeher auf die Ärzt:innenschaft zutrifft. Mit dem vorliegenden Text ist es uns als Team Szekeres ein besonderes Anliegen, auch auf die oftmals verschwiegene Bedeutung von Kolleg:innen ohne Kassenvertrag hinzuweisen.

Wahlärzt:innen sind unter anderem versorgungsrelevant, weil sie eine beachtliche und immer größer werdende Zahl an Patient:innen betreuen, die somit nicht die Kassenordinationen aufsuchen. Auf diese Weise wird Kassenärzt:innen gewissermaßen der Rücken freigehalten, und Patient:innen dürfen sich über ausreichend Behandlungszeit in den Ordinationen freuen – zweifellos ein absoluter Mehrwert.

Auch tragen Wahlärzt:innen zu einer beträchtlichen finanziellen Entlastung des Gesundheitssystems bei, indem sie nur einen Bruchteil ihres Honorars einbehalten und viele Patient:innen aus Gründen des Komforts, oder weil sich der Aufwand für sie schlichtweg nicht lohnt, letztlich auf die Rückerstattung des Kassentarifs verzichten. Das Geld verbleibt somit bei den Kassen.

Im Lichte der genannten Aspekte ist das geringe Engagement der Ärztekammer in puncto Wahl:ärztinnen doch einigermaßen verwunderlich. Es ist festzustellen, dass die Kurie der niedergelassenen Ärztinnen die Anliegen der Kolleg:innen ohne Kassenvertrag nicht ausreichend im Fokus hat. Das Team Szekeres will unter anderem hier ansetzen und eine bessere Vertretung der Wahlärzt:innen sicherstellen. So sprechen wir uns unter anderem für eine dringend benötigte höhere Rückerstattung von Sozialversicherungsbeiträgen aus.

Von Philipp Knasmüller
Thomas Szekeres für die Ärztekammerwahl Wien 2022
und Thomas Szekeres

Die andauernde psychische Belastung durch die Corona-Pandemie geht an Patient:innen und Ärzt:innen nicht spurlos vorbei. Laut einer aktuellen Publikation in „The Lancet Psychiatry“ litt nahezu ein Viertel (23.9 %) der an Covid-19 erkrankten Patient:innen innerhalb eines halben Jahres an einer Angststörung, affektiven oder psychotischen Störung – in 8,2 % der Fälle als Erstdiagnose.

Den steigenden Patient:innenzahlen steht ein sukzessiver Personalmangel entgegen – seit Jahren fehlt es an Fachärzt:innen und Ärzt:innen in FA-Ausbildung. Diese absehbare Entwicklung kulminiert in der aktuellen Mangelversorgung, die insbesondere im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie, der Versorgung der Jüngsten unserer Gesellschaft, eklatante Ausmaße und für Patient:innen und Ärzt:innen unzumutbare Zustände annimmt. Es wurden bereits Gefährdungs- und Überlastungsanzeigen eingebracht, Wartezeiten für Behandlungen ohne „akute Gefährdung“ steigen oder werden gänzlich in den niedergelassenen Bereich abgeschoben, beträchtliche Pensionierungswellen von Psychiater:innen stehen bevor, und durch den massiven FÄ-Mangel ist es den Ausbildungsverantwortlichen erheblich erschwert die erforderlichen Ausbildungsbedingungen zu gewährleisten.

Systemischer Mangel trotz Mangelfachverordnung

Die Fächer „Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin“ und „Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapeutische Medizin“ sind bereits 2015 durch das Gesundheitsministerium zu „Mangelfächern“ erklärt worden. Im aktuellen Rechnungshofbericht zur Ärzteausbildung (Dezember 2021) werden abermals die erhebliche Unterversorgung und die zu geringe Anzahl an psychiatrischen Fachärzt:innen beschrieben. Trotz der offenkundigen Missstände konnten laut RH-Überprüfung seit Inkrafttreten der Mangelfachverordnung österreichweit (!) nur 30 zusätzliche Ärzt:innen (7.7 %) überzeugt werden, die Ausbildung in den beiden Mangelfächern zu beginnen.
Folglich drängt der Rechnungshof, bei unzulänglichen Ausbildungskapazitäten „Maßnahmen für eine wirksame, bedarfsorientierte Nachwuchssteuerung zu erarbeiten“.

Entgegen der Zielsetzung sehen sich Ärzt:innen in psychiatrisch-fachärztlicher Ausbildung mit äußerst unattraktiven Arbeits- und Ausbildungsbedingungen konfrontiert!
Neben der psychiatrischen Ausbildung ist die psychotherapeutisch-medizinische Ausbildung eine fundamentale Säule des fachärztlichen Kompetenzerwerbs und unerlässlich für die ärztliche Betreuung psychiatrischer Patient:innen.  Entsprechend der Ärzteausbildungsordnung sind eine fundierte theoretische und vertiefend-praktische Ausbildung in psychotherapeutischer Medizin Pflichtbestandteile der Fachärzt:innenausbildung. Eben diese Pflichtbestandteile (!) der Ausbildung werden jedoch nicht als Dienstzeit gerechnet, um auf supranationaler Ebene erstrittene Höchstgrenzen der Arbeitszeit zu umgehen, und müssen häufig an Wochenenden und Abenden in der Freizeit geleistet werden.

Fachärzt:innen, die den dringenden Personalmangel an den psychiatrischen Abteilungen ausgleichen sollen, müssen zuvor hunderte Arbeitsstunden – zumindest 590 Ausbildungseinheiten und 125 Stunden psychotherapeutisch-medizinischer Patient:innenführung unter Supervision, samt detaillierter Dokumentation und Fallvorstellungen – unentgeltlich leisten. Lediglich 80 Ausbildungseinheiten und Dienststunden werden für Auszubildende an psychiatrischen Abteilungen des Wiener Gesundheitsverbundes regulär finanziert.

Zusätzlich zu dem zeitlichen Aufwand müssen die Kosten für Vortragende, Supervidierende sowie deren Organisation (in Höhe von meist > 15 000 €/ Ärzt:in) durch die Auszubildenden selbst getragen werden, und es gibt nur mangelhafte Kompensationskonzepte. Somit werden die als Ausbildungsstätten anerkannten Wiener Spitäler ihrer Verpflichtung zur Gewährleistung der fachlichen Erfordernisse nicht gerecht!

Wir stellen klar: Ausbildungszeit ist Dienstzeit!

Wir fordern die umgehende sowie vollständige Anrechnung der verpflichtend zu absolvierenden Ausbildungszeiten als Dienstzeit!
Um zusätzliche Ärzt:innen für die Ausbildung in den Mangelfächern „Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin“ und „Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapeutische Medizin“ zu gewinnen, sind eine bessere Finanzierung der Ausbildung, eine Mangelfachzulage für Ärzt:innen in Ausbildung und Fachärzt:innen sowie flexiblere, familienfreundliche Arbeitszeitmodelle erforderlich!

In den letzten Jahren hat sich klar gezeigt, dass es im Rahmen der Bemühungen zur Geschlechtergleichstellung einer tiefergehenden Veränderung eines traditionell gewachsenen weiblichen Rollenbilds bedarf. 

Von Kurt Frey
Noufah Badi im Team Thomas Szekeres für Ärztekammerwahl in Wien 2022
und Noufah Badi

So ist es nicht ausreichend, Führungspositionen für Frauen bloß zugänglich zu machen. Vielmehr bedarf es einer aktiven Begleitung und Unterstützung bei der Entwicklung eines Selbstverständnisses sowie eines neuen zeitgemäßen Rollenbilds, um die Bereitschaft von Frauen, sich in verantwortungsvollen Funktionen zu engagieren, zu heben.

Auf Initiative des Referats für Gender Mainstreaming und Diversity Management rief die Wiener Ärztekammer im Herbst 2020 als diesbezügliches Pilotprojekt ein Mentoringprogramm ins Leben.

Dieses setzt drei Schwerpunkte:

  1. Den Kern des Mentorings bildet eine individuelle, zielgerichtete Patenschaft zwischen Mentorin und Mentee. Als Mentorin fungiert dabei eine berufserfahrene Ärztin in gehobener Position, die über einen festgelegten Zeitraum gezielt die Entwicklung einer Nachwuchskraft unterstützt und fördert.
  2. Die Mentees, junge Ärztinnen, entwickeln und stärken in Workshops und Einzelcoachings ihre persönlichen Kompetenzen und erarbeiten ein zeitgemäßes Rollenbild.
  3. Netzwerken als Karriereförderung: Wie Erfahrungen in anderen Bereichen gezeigt haben, sehen Frauen den Nutzen von Netzwerken mehr auf privater Ebene als im beruflichen Kontext. Ziel ist es also, den Nutzen männlich dominierter Netzwerke in solche mit entsprechender Beteiligung von Frauen zu integrieren.

Das gegenständliche Pilotprojekt ist auf ein Jahr befristet und wird nach Abschluss evaluiert.

Das Team Szekeres wird sich dafür einsetzen, dass Mentoring für Frauen auch nach der Ärztekammerwahl 2022 in zielgerichteten Projekten fortgeführt und ausgebaut wird. Wir betrachten dies als einen fundamentalen Baustein, der es ermöglicht, junge Ärztinnen im Beruf zu halten und somit dem demografischen Wandel in unserem Berufsstand entgegenzuwirken.

EU-Beschwerde und Flexibilisierung der Dienstzeiten im WIGEV

Marina Hönigschmid für das Team Szekeres Ärztekammerwahl Wien 2022
Von Marina Hönigschmid

Direkt nach meinem Studium musste ich beruflich zunächst nach Oberösterreich, zumal man in Wien jahrelang auf einen Turnusplatz warten musste. Nach nur sechs Tagen absolvierte ich bereits den ersten Nachtdienst auf der Chirurgie und Unfallchirurgie. Eine entsprechende Einschulung durch Kolleg:innen gab es nicht. Ein Pfleger erklärte mir beim ersten Patienten, wo die Fraktur am Röntgenbild zu sehen und wie der Gips anzulegen ist. Er war es auch, der mir die unfallchirurgische Dokumentation erklärte. Der diensthabende Oberarzt war teilweise gar nicht im Haus. Um 16 und um 20 Uhr erfolgten dann zwei Spritzenrunden: Die Pflege saß beim Kaffee, die Antibiotika musste ich mir selbst mischen, da ich eine halbe Stunde zu spät aus der Ambulanz auf die Station gekommen war. Dann kam der nächste Pieps: „Komm bitte hinunter, der nächste chirurgische Patient wartet in der Ambulanz auf dich.“ So ging das 25 Stunden durchgehend – bis zu dreimal pro Woche, wenn eine Kollegin oder ein Kollege ausgefallen waren.

Keine Verbesserungen in Sicht

Am nächsten Tag ging es dann nach Hause, wo man sich fühlte, als wäre man von einem LKW überfahren worden. Zur körperlichen Anstrengung kam damals natürlich auch die fachliche Überforderung hinzu. So ging die Freude an der ärztlichen Tätigkeit rasch verloren. Denn nur alleine anwesend zu sein und zwischen den Abteilungen hin und her zu rasen, ergibt keine gute Ausbildung. Als ich später in Wien den Turnus weiterverfolgte, fragte ich in der Generaldirektion des damaligen KAV nach, wie man die anstrengenden 25-Stunden-Dienste entlasten und die vielen Wochenstunden herabsetzen könnte. Es gab dabei jedoch keine Aussicht auf Verbesserungen. Auch der Zentralbetriebsrat konnte mir nicht helfen.

Nach zahlreichen Bewerbungen ergatterte ich schließlich die ersehnte Ausbildungsstelle für Gynäkologie und Geburtshilfe. In der Zwischenzeit hatte ich bereits drei kleine Kinder bekommen. Ich bat meinen damaligen Chef um ein Ausbildungsgespräch. Dabei verlangte ich Struktur: Ich wollte wissen, wann ich wo eingeteilt werde und was von mir erwartet wird. Es gab kein Gespräch. Der Dienstplan musste stehen. Für Kinder benötigt man ein extrem gutes Zeitmanagement. Ich wollte die Kinder nicht „für den Babysitter“ bekommen haben, sondern mit ihnen Zeit verbringen, sie erziehen und natürlich gleichzeitig meine Ausbildung weiterverfolgen. Beides unter einen Hut zu bringen, war extrem schwierig. Das geht nur bei maximaler Effizienz. Damals wurde ich zufällig gefragt, ob ich mich in der Ärztekammer engagieren möchte. Ich war schon immer jemand, der Missstände aufgezeigt hat, und wurde schließlich als Mandatarin in die Wiener Ärztekammer gewählt.

Wer kümmert sich um meine Kinder?

Nach drei sehr anstrengenden Diensten binnen einer Woche auf der Geburtshilfe, in denen ich Kreissaal, Notfallambulanz und präpartale bzw. Wochenbettstation alleine zu betreuen hatte (mein Oberarzt war im Hintergrund verfügbar), saß ich völlig fertig und weinend zuhause am Sofa. Wieder einmal hatte ich von der Schule den Anruf erhalten, dass meine Tochter alleine auf der Straße steht und auf mich wartet. Ich war kaputt, unerträgliche Kopfschmerzen machten sich breit, der ganze Körper tat einfach nur weh. Wenn ich in diesen vielen Stunden Arbeit – wir waren ja jeden Wochentag anwesend, immer wieder wochenlang durchgehend ohne einen freien Tag – doch wenigstens mit dem Ausbildungsfortschritt zufrieden gewesen wäre. Was jedoch nicht der Fall war, zumal ich einfach zu viele leere Kilometer im Dienst – ein Venflon da, ein auszufüllender Zettel dort – machen musste. Dazwischen waren unzählige Entlassungsbriefe anzufertigen, dann erfolgte wieder eine stressige Geburt. Monatelang war ich in der gleichen Ambulanz eingeteilt – ohne Supervision und von der Pflege eingeschult. Ich saß also am Sofa und dachte mir: Warum hilft uns jungen Ärzt:innen niemand? Warum müssen wir uns in einem Beruf, in welchem es um Gesundheit geht, selbst kaputt machen? Warum müssen wir derart um Ausbildung und jede Minute Ruhe im Dienst kämpfen? Immer wieder aufgrund von Krankenständen in Dienste einspringen zu müssen, war ebenfalls belastend für das Arbeitsklima. Man erfuhr in der Morgenbesprechung, dass man bis zum nächsten Tag bleiben muss. Wer kümmert sich dann um die Kinder? Mein Mann hatte zu dieser Zeit ebenfalls einen sehr zeitintensiven Job.

Aus der Not eine Tugend gemacht

Da kam ich in meinen Gedanken unter anderem auf die Europäische Union (EU), die bekanntlich so ziemlich alles regelt – sogar die Länge von Gurken. Ich begann im Internet zu recherchieren und fand heraus, dass es in der EU eine Arbeitszeitrichtlinie gab, die auch für Ärzt:innen galt. Österreich hatte diese Regelung im KA-AZG (Krankenanstaltenarbeitszeitgesetz) einfach nicht gemäß einem Urteil des EuGH („Jäger-Urteil“) umgesetzt. Vor allem der Umstand, dass eine freiwillige Überschreitung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 48 Stunden in Österreich nur von der Arbeitnehmer:innenvertretung und nicht von jeder Ärztin bzw. jedem Arzt einzeln unterschrieben werden konnte, widersprach auch für mich als rechtliche Laiin sehr offensichtlich dem EU-Recht. Mit juristischer Hilfe habe ich dann eine EU-Beschwerde gegen das illegale österreichische Gesetz verfasst. Da die Beschwerde beträchtliche Auswirkungen auf das Gesundheitswesen haben und auch negativ angelastet werden konnte, bat mich meine Familie, diese nicht selbst einzureichen. Nach einigen Monaten fand ich eine Person, die mutig genug war, die Beschwerde mit ihrer Unterschrift einzureichen: Der bekannte Gesundheitsökonom Dr. Ernest Pichelbauer tat dies ohne Risiken zu scheuen.

Der Rest ist dann bereits offiziell. Nach zwei Jahren Bearbeitungszeit und Prüfung durch die EU drohten Österreich wegen der von mir verfassten Beschwerde plötzlich Strafzahlungen in Millionenhöhe. Der damals für das Gesetz zuständige Sozialminister Hundstorfer konnte sogar die EU-Richtlinie über ein neues KA-AZG im Jahr 2015 umsetzen, ohne den Konsultationsmechanismus der Bundesländer fürchten zu müssen. Das heißt, dass sich die Bundesländer nicht wegen der EU-Beschwerde für entstehende Mehrkosten am Bund schadlos halten konnten. Das Gesetz wurde letztendlich nach mehreren Jahren Übergangsfrist sogar arbeitnehmer:innenfreundlicher als es die EU vorsieht. Leider hat die Politik die vergangenen Jahre jedoch wieder untätig verstreichen lassen. Das Opt-Out wäre jetzt in ganz Österreich ausgelaufen, die Bundesregierung hat es auf Wunsch und Betreiben der Bundesländer verlängert. Frei nach dem Motto: Die Ärzt:innen machen das schon zusätzlich, die paar Überstunden kommen dem Staat günstiger als endlich entsprechende Personalressourcen und Entlastung durch technischen Fortschritt zu schaffen.

Es gibt weiterhin viel zu tun

Auch das Problem der ungesteuerten Patient:innenströme in die Krankenhäuser bleibt weiterhin ungelöst. Die Hotline 1450 reicht hier einfach nicht. Dafür bleibt weiter die Finanzierung des Gesundheitswesens aus verschiedenen Töpfen für Spitäler und den niedergelassenen Bereich verantwortlich. Mittlerweile wollen laut Umfragen bereits über 80 Prozent der Kolleg:innen kein Opt-Out von der maximalen Arbeitszeit von 48 Stunden pro Woche unterschreiben. Vor allem die junge Ärzt:innengeneration fordert für die Arbeitszeit auch ein entsprechendes Ergebnis (Outcome) – also eine solide Ausbildung. Auch die jungen männlichen Kollegen wollen Zeit für Familie und Freizeit haben. Immer mehr Kolleg:innen gehen nach der Ausbildung sofort in die Niederlassung oder ins Ausland. Den Spitälern fehlen bald die Kapazitäten, die wichtige Spitalsbehandlung als letzte Instanz anbieten zu können.

Mehr Personal und technischer Fortschritt dringend benötigt

Im Wiener WIGEV gibt es glücklicherweise kein Opt-Out, denn auch die Stadt Wien war von Anfang an dagegen. Als Vertreterin der angestellten Ärzt:innen Wiens konnte ich nach dem Streik 2016 in Gesprächen mit dem WIGEV ein flexibles Dienstzeitmodell verhandeln. Dabei ist es möglich, 25-Stunden-Dienste einfach zu teilen. Das macht es einfacher, auf Ausfälle zu reagieren und die Dienstzeiten auf die Patient:innenströme, aber auch individuellen Bedürfnisse besser anzupassen. Leider beklagen viele Spitalsärzt:innen die erhöhte Arbeitsbelastung seit das neue Arbeitszeitgesetz 2015 eingeführt wurde. Ganz klar – die fehlenden Stunden müssten durch mehr Personal, aber auch technischen Fortschritt ausgeglichen werden. Dies erfolgt nur langsam. Darum kämpfen wir in der Ärztekammer seit Jahren. Die Pandemie hat diese Fortschritte leider verzögert. Viele Kolleg:innen arbeiten seitdem wieder im Notfallmodus. Im Jahr 2016 habe ich zum Beispiel in der WIGEV-Generaldirektion gefragt, ob die Pflegeschüler:innen in der Personalbedarfsrechnung der Patient:innenversorgung miteingerechnet sind. Das war natürlich nicht der Fall, da sie noch in Ausbildung sind. Seither fordern wir als Ärztekammer, dass ein gewisser Prozentanteil in der Personalbedarfsrechnung nur Einschulung und Ausbildung zugerechnet wird.

Ein „Das-war-schon-immer-so“ ist nicht akzeptabel

Es freut mich persönlich sehr, dass das neue Arbeitszeitgesetz bei vielen Kolleg:innen gut ankommt und Bewegung in die Verbesserung der Arbeitsbedingungen gekommen ist. Für meine Initiative habe ich daher von der Wiener Ärztekammer auch ein Ehrenzeichen bekommen. Der Spruch „Das war halt schon immer so“ regte mich auf, und wir haben uns wirklich ein Stück weiterentwickelt. Das neue Arbeitszeitgesetz hat auch nichts mit Faulheit zu tun. Es sichert die Verbesserung der Lebensqualität von uns Ärzt:innen ab. Die Arbeit muss effizient mit weniger Zeitaufwand durch bessere Organisation und technischen Fortschritt möglich werden. Für uns, die Patient:innen sowie unsere Kinder, die eventuell auch Ärzt:innen werden wollen.

Von Paul Schönfeld
Thomas Szekeres für die Ärztekammerwahl Wien 2022
und Thomas Szekeres

Was soll junge Kolleg:innen, die den Weg in die Selbständigkeit erwägen, derzeit motivieren, sich für die Eröffnung einer Kassenordination zu entscheiden? Bis auf Zyniker wird wohl niemand auf die Idee kommen, an dieser Stelle die finanziellen Vorzüge und Möglichkeiten ins Treffen zu führen. Die einschlägigen Tarife haben sich in den letzten Jahrzehnten keineswegs zum Besseren verändert, vielmehr kann hier eine Geringschätzung ärztlicher Tätigkeit verortet werden – ein Umstand, der ob des vorherrschenden Mangels an Kassenärzt:innen gleichermaßen unbegreifbar wie unerträglich ist.

Der zentrale Punkt dieser Problematik ist ein äußerst tiefgreifender. Die Geldgeber haben ein fragwürdiges Umverteilungssystem etabliert, mit dem es regelmäßig gelingt, die Ärzt:innenschaft zu entzweien. Sowohl Gesundheitspolitiker:innen als auch Kassen suggerieren, es gäbe nur einen begrenzten Topf, der für die Ärzt:innenschaft zur Verfügung steht. Würde man einer Sparte mehr zugestehen, müsste wiederum eine andere auf Geld verzichten. So wird nicht nur eine angemessene Bezahlung verhindert, sondern auch Spaltung betrieben. Insbesondere werden dadurch gegenseitige Solidarität und ein gemeinsames Auftreten der Ärzt:innenschaft hintangehalten.

Von Dämpfungspfaden und fragwürdigen Behauptungen

Immer wieder fällt in diesem Zusammenhang auch der Terminus „Dämpfungspfade“. Man müsse die Zukunft so gestalten, dass die Ausgaben gedämpft werden. Im Klartext bedeutet dies, dass die Versicherung nicht mehr Geld für ihre Versicherten ausgeben will. Es wird nicht verhandelt, wieviel eine Ärztin bzw. ein Arzt für eine spezielle Tätigkeit bzw. Untersuchung bekommen soll, sondern stets das Gesamte. Ist damit zu rechnen, dass eine Untersuchung in Zukunft öfter durchzuführen ist, wird der Wert dieser Position mit der zu erwartenden Frequenzsteigerung korreliert. Das führt wiederum dazu, dass die einzelne Ärztin bzw. der einzelne Arzt für diese Untersuchung nicht mehr Geld bekommt, weil argumentiert wird, dass diese Position in der Gesamtheit, allein durch die gesteigerte Anzahl an Patient:innen, für die Versicherung teurer wird. Dass sich die betroffenen Kolleg:innen davon nichts kaufen können, liegt auf der Hand.

Nicht zuletzt wird immer wieder beklagt, es würden schlichtweg die für wichtige Erhöhungen, bzw. konkret auch eine Attraktivierung des Kassenärzt:innenberufs benötigten, finanziellen Mittel fehlen. Hierbei handelt es sich um eine Behauptung, die nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer Impflotterie, für die plötzlich eine Milliarde Euro ausgeschüttet werden kann, nicht einmal ansatzweise haltbar ist.

Wie die Kassen Geld anhäufen

Neben seltsamen Entblößungen dieser Art existieren jedoch unzählige weitere Anknüpfungspunkte, die der Argumentation der fehlenden Gelder den Boden entziehen. So ist unstrittig, dass Wahlärzt:innen dem System helfen, Unmengen an Kosten einzusparen. So bezahlen Patient:innen in der Privatmedizin ihre Versicherungen selbst und erhalten nur einen Bruchteil der Kosten, die den Kassen bei einer entsprechenden Behandlung erwachsen würden, refundiert. Nicht zuletzt verzichten viele der Patient:innen aus Gründen des Komforts zudem gänzlich auf die Rückerstattung des Kassentarifs. Hinzu kommt, dass der Entfall von Wartezeiten mehr Patient:innen zu Behandlungen motiviert, wodurch wichtige Präventionsarbeit geleistet wird. Ein Umstand, der dem System wiederum beim Sparen hilft. Das solcherart lukrierte Geld verbleibt bei den Krankenkassen. Diese dürfen sich über Gewinne gleichermaßen wie über stattliche Zuschüsse freuen.

Das Team Szekeres stellt fest, dass mit dem herrschenden Prinzip der Umverteilung ein Ausbrechen aus der Abwärtsspirale verunmöglicht wird. Um in Zukunft eine adäquate Versorgung mit Kassenärzt:innen gewährleisten zu können, werden sich Gesundheitspolitik und Kassen stark bewegen müssen. Jungen Ärzt:innen müssen wieder konkrete Perspektiven aufgezeigt werden, die eine Entscheidung pro Kassenordination ermöglichen.

Es braucht dringend eine Aufwertung

Als niederschwellige Ansprechpartner:innen, stets verfügbare Anlaufstelle für Patient:innen, Berater:innen in Sachen Prävention und Therapie sowie kompetente und gut erreichbare Anlaufstation für Gesundwerdung und Gesunderhaltung erfüllen Kassenärzt:innen eine unschätzbar wertvolle Funktion in unserer Gesellschaft. Die demographischen Daten, die Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur, aber auch die Art und Weise der medizinischen Behandlung von Patient:innen, welche sich als zunehmend komplex erweist, muss sich endlich auch in der Tarifentwicklung niederschlagen. Nicht zuletzt müssen Ärzt:innen als Berater:innen angesehen werden.

Der konkret in Planung befindliche Facharzt für Allgemeinmedizin und die daraus resultierende dringend erwartete Aufwertung des niedergelassenen Allgemeinmediziners, ausgestattet mit mehr fachlicher Kompetenz und mehr verrechenbaren Positionen, muss sich im Tarifkatalog abbilden lassen.

Sämtliche der hier aufgezeigten Umstände unterstreichen, dass das nicht zielführende System des Umverteilens endlich beendet werden muss. Der Versorgungsauftrag der Versicherungen muss wieder ernstgenommen und der Kuchen größer werden.

Benjamin Glaser im Team Szekeres
von Benjamin Glaser

Als sehr unbefriedigend und in höchstem Maße ineffizient stellt sich recht häufig die Arbeitssituation an Wochenenden in den Notfallambulanzen dar. Ordinationen und Privatkliniken haben geschlossen, die wichtige Aufgabe der Akutversorgung fällt bekanntlich den Häusern des Wiener Gesundheitsverbunds zu. Mitunter kann es sogar vorkommen, dass ein Spital alle Patientinnen und Patienten in Wien unfallchirurgisch versorgen muss. Da ist es der Sache alles andere als dienlich, dass die sehr häufigen Rettungszufahrten in der Regel nur unzureichend gelenkt werden. 

Ferner kommt es in der Praxis häufig vor, dass Patientinnen und Patienten mit akut auftretenden Beschwerden, die zuvor nicht mit einem Hausarzt abgeklärt wurden, die Notfallambulanz aufsuchen. Man muss aufgrund der einschlägigen Erfahrungen nicht einmal überspitzt formulieren, um festzustellen, dass die Notfallversorgung mitunter auch mit Problemstellungen wie beispielsweise einem seit drei Wochen eingewachsenen Zehennagel befasst wird. An dieser Stelle findet keine Lenkung statt, der Strom an Patientinnen und Patienten gelangt hier ungefiltert – mit allen Konsequenzen für das Personal – in die Aufnahme. Auf diese Weise wird nicht selten eine Kollegin bzw. ein Kollege um Mitternacht zur Vornahme einer Behandlung angerufen.

Das Team Szekeres spricht sich deshalb für eine bessere Lenkung im Sinne einer funktionierenden Notaufnahme aus. Konkret muss sichergestellt werden, dass ärztliches Personal nur konsultiert wird, wenn eine entsprechende Notfallsituation indiziert ist. Es ist in höchstem Maße ineffizient und wohl auch finanziell nicht argumentierbar, wenn Patientinnen und Patienten zu jeder Tages- und Nachtzeit direkt eine Spezialistin bzw. einen Spezialisten konsultieren können, ohne zuvor eine andere Ärztin bzw. einen anderen Arzt aufgesucht zu haben. Hier bedarf es unserer Ansicht nach einer effizienteren Handhabung im Sinne einer gewissenhaften und professionellen Vorauswahl, bevor das breite Spektrum einer Notfallambulanz hochgefahren wird. Den Luxus einer 24-Stunden-Versorgung für Belange, die normalerweise durch die Hausärztin bzw. den Hausarzt abgeklärt werden können, kann sich selbst das beste Gesundheitssystem der Welt nicht leisten – schon gar nicht, wenn es über kurz oder lang eine Abwanderung von Fachpersonal aus den betroffenen Häusern verhindern möchte.

Thomas Szekeres für die Ärztekammerwahl Wien 2022
Von Thomas Szekeres

In politischen Kreisen gilt das Modell der Primärversorgungszentren, also ein Zusammenschluss von mindestens drei Ärzt:innen für Allgemeinmedizin mit Vertreter:innen anderer Gesundheitsberufe, als das Allheilmittel schlechthin. Politiker:innen sämtlicher Parteien sind der Überzeugung, die Primärversorgung mit solchen Zentren besser erbringen zu können und drängen deshalb auf die Gründung möglichst vieler dieser Einrichtungen. 

Aus unserer Sicht machen Primärversorgungszentren grundsätzlich durchaus Sinn, als alleiniges Modell wollen wir diese jedoch nicht begreifen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. So gestaltet sich in der Praxis die Zusammenarbeit mehrerer Kolleg:innen nicht immer friktionsfrei, darüber hinaus gibt es viele Ärzt:innen, die Einzelordinationen bevorzugen. Auch für die Patient:innen stellt sich die Situation unterschiedlich dar. Jüngere etwa favorisieren den kurzen Stopp in einem PVZ, Ältere bevorzugen in der Regel hingegen tendenziell die klassische Betreuung durch ihre Hausärzt:innen. Unserer Ansicht nach sollten beide Modelle offenstehen. Darüber hinaus gibt es auch Netzwerke, die eine engere Abstimmung mehrerer Einzelordinationen ermöglichen. 

Verbesserungsmöglichkeiten für die Lehrpraxis

Dr. Nina Böck im Team Szekeres
von Nina Böck

Auch wenn die Einführung einer verpflichtenden Lehrpraxis im Rahmen der Ärzt:innenausbildungsordnung 2015 (ÄAO 2015) zweifellos einen Meilenstein in der Verbesserung der Ausbildung zukünftiger Allgemeinmediziner:innen markierte, können beträchtliche Problemfelder nicht von der Hand gewiesen werden. Im Folgenden zeigen wir in Form eines praxisnahen FAQs konkrete Verbesserungsmöglichkeiten auf.

1. Muss ich als Wiener:in meine Lehrpraxis in Wien absolvieren?

Zu dieser Fragestellung kann ich aus persönlicher Erfahrung berichten. Meine Großmutter besitzt ein Sommerhaus in einem kleinen Ort in Niederösterreich. Die medizinische Versorgung in dieser Gegend ist seit jeher äußerst dürftig. Vor ein paar Jahren haben schließlich zwei Allgemeinmediziner:innen im Nachbardorf eine tolle Gruppenpraxis mit Hausapotheke eröffnet. Das nächste Krankenhaus ist mehr als eine halbe Stunde Autofahrt entfernt, weshalb in dieser Ordination viele Patient:innen behandelt werden, die in Wien direkt in der Notfallambulanz landen.

Als angehende Allgemeinmedizinerin hätte ich nur zu gerne eine Lehrpraxis in dieser Ordination absolviert. Da es nur wenige Lehrpraktikant:innen in diese abgeschiedene Gegend verschlägt, hätte mich der Praxisleiter auch sofort eingestellt. Allerdings gab es dabei ein Problem: Ich habe meinen Turnus in Wien absolviert, weshalb es nicht möglich ist, eine geförderte Lehrpraxis in Niederösterreich zu bekommen. Voraussetzung für die Förderung der Lehrpraxis in Niederösterreich ist eine Anstellung in einem niederösterreichischen Krankenhaus. Umgekehrt ist es jedoch Personen, die den Turnus in Niederösterreich absolviert haben, problemlos möglich, die Lehrpraxis in Wien zu machen.

Vor allem vor dem Hintergrund des schon jetzt drohenden Mangels an Allgemeinmediziner:innen speziell im ländlichen Bereich ist diese Regelung völlig unverständlich.

Das Ziel des Team Szekeres ist die Schaffung einer bundesländerübergreifenden Möglichkeit der Lehrpraxis.

2. Mit welchen Gehaltseinbußen muss ich rechnen?

Derzeit verlieren Ausbildungsärzt:innen, die ihren Turnus in einem Krankenhaus des Wiener Gesundheitsverbunds (WiGeV) absolviert haben, mit Antritt der Lehrpraxis zirka 40 Prozent ihres ursprünglichen Gehalts. Gründe dafür sind der Wegfall der Nacht- und Wochenenddienste im Krankenhaus sowie die meist auf 30 Stunden reduzierte Wochenarbeitszeit. Für nicht wenige der Betroffenen führt dies zu einer finanziell äußerst schwierigen Situation. Deshalb ist es für Ausbildungsärzt:innen in fast allen Bundesländern möglich, während der Lehrpraxis weiterhin im Ausbildungsspital angestellt zu sein und Dienste zu absolvieren. Der WiGeV erlaubt dies derzeit leider nicht.

Es muss daher dringend auch im Bereich des WiGeV ermöglicht werden, Dienste während der Lehrpraxis zu absolvieren.

3. Wann darf ich die Lehrpraxis machen?

Derzeit darf die Lehrpraxis für Allgemeinmedizin ausschließlich am Ende des Turnus absolviert werden. Als Argument dafür wird die „Erfahrung der Ausbildungsärzt:innen“ angeführt. Leider führt dies auch oftmals dazu, dass Lehrpraktikant:innen als billige Arbeitskräfte angesehen und in vielen Ordinationen kaum vidiert werden. Für die Ausbildungsärzt:innen geht auf diese Weise jegliche Flexibilität zur Gestaltung der eigenen Ausbildung verloren.

Weiters denken wir, dass die Möglichkeit, bereits nach der Basisausbildung in die Lehrpraxis zu wechseln, die Anzahl der Personen, die sich für Allgemeinmedizin entscheiden, erhöhen könnte. Die administrativen Tätigkeiten von Turnusärzt:innen im Krankenhaus haben wenig mit der späteren Tätigkeit von Allgemeinmediziner:innen zu tun. Erkennt man gleich zu Beginn der Ausbildung, worauf es in der Ordination ankommt, können während der Ausbildung im Krankenhaus gezielt Lücken geschlossen werden.

Ziel des Team Szekeres ist es daher, die Lehrpraxis nach abgeschlossener Basisausbildung wieder zu jedem Zeitpunkt der Ausbildung zu ermöglichen.

4. Darf ich in anderen Fächern eine Lehrpraxis absolvieren?

Derzeit darf in der Fachärzt:innenausbildung erst nach der Sonderfach-Grundausbildung, sprich nach drei Jahren Ausbildung, eine Lehrpraxis absolviert werden. Weiters gibt es im Rahmen der Fachärzt:innenausbildung keine Förderung der Lehrpraxis. Für viele Assistenzärzt:innen ist es sehr attraktiv, einen Teil der Ausbildung im niedergelassenen Bereich zu absolvieren, da es dort ein 1:1-Mentoring gibt.  So könnte zum Beispiel in der Pädiatrie sehr viel Sicherheit für die zukünftige Ambulanztätigkeit im Krankenhaus gewonnen oder in der Kardiologie das Herzecho perfektioniert werden. Da viele Kolleg:innen längere Zeit auf eine freie Ausbildungsstelle warten müssen, wäre es auch möglich, durch die Lehrpraxis die Wartezeit zu überbrücken und bereits fachspezifische Kenntnisse zu sammeln. 

Unser Ziel ist es daher, die Lehrpraxisförderung auch für alle anderen Fächer zu etablieren.

5. Wo und wie finde ich eine passende Lehrpraxisstelle?

Derzeit gibt es keine funktionierende Plattform, die eine Übersicht über freie Lehrpraxisstellen ermöglicht. Sowohl für Lehrpraxisinhaber:innen als auch für Ausbildungsärzt:innen führt dies oft zu unnötigem Stress und langwierigen Suchen. Weiters gibt es keine öffentlich zugänglichen Evaluierungen der einzelnen Ordinationen. Wir denken, dass die Qualität der Ausbildung durch öffentlich zugängliche Erfahrungsberichte deutlich steigen könnte. Lehrpraxisinhaber:innen bekommen in weiterer Folge nur Bewerbungen, wenn sie die Jungärzt:innen ausreichend ausbilden.

Unser Ziel ist es daher, eine österreichweite Plattform für Lehrpraxisstellen zu etablieren.

Dr. Sophia Merl  im Team Szekeres
von Sophia Merl

19:30: Endlich sind alle Aufnahmen abgearbeitet. Vielleicht kann ich mir eine halbe Stunde Ruhe im Dienstzimmer gönnen. Also ab auf Ebene acht! Der Gang ist finster, nach Sonnenlicht sucht man hier vergeblich, aber vor allem funktionieren die Ganglichter nicht mehr. Leider kümmert sich niemand darum. Wozu auch? Der Schimmel wuchert an der Decke, die Wände sind abgebröckelt und rissig – ein echter Ort zum Wohlfühlen! Das Dienstzimmer gefunden, lege ich mich auf das Bett. Im Sommer ist es hier zum Sterben heiß, und im Winter zieht es nur so bei den Fenstern rein – aber immerhin funktioniert die Heizung. Ich habe Durst, ein Waschbecken gibt es jedoch nicht. Naja, dann warte ich eben, bis ich wieder rausmuss. 

Der Anruf folgt wie erwartet. Ein Laborbefund ist fertig, und ich werde gebeten, ihn mir anzusehen. Am Schreibtisch steht ein alter Röhrenfernseher mit einer Antenne, die bis zur Decke reicht. Ich habe keine Ahnung, was der hier macht. Ich bezweifle stark, dass er funktioniert, und Befunde kann ich mir darauf auch nicht ansehen. Vielleicht dient er ja zur Dekoration? Es geht also wieder fünf Stockwerke runter, um zu einem Computer zu kommen. 

Alles in Ordnung, der Befund war unauffällig, der Patientin geht es gut. Also geht es wieder hoch. Langsam könnte ich mich bettfertig machen, mir das Gesicht waschen und die Zähne putzen. Ich schnappe mir also meine Zahnbürste und wage mich auf den nur spärlich beleuchteten Gang hinaus. Es wirkt hier fast wie in einer Szene aus einem Horrorfilm. Plötzlich kommt mir mein OA entgegen. Peinlich, ich stehe hier mit der Zahnbürste in der Hand und trage keinen BH mehr. Ich komme mir vor wie damals auf der Schullandwoche mit Gemeinschaftsduschen und Gemeinschaftsbad. 

Das kleine Waschbecken ist in eine Ecke gezwängt – natürlich spuckt es nur Kaltwasser aus. Brrr…. Noch schnell auf die Toilette, denn dafür möchte ich nicht unbedingt noch einmal aufstehen. Ich weiß zwar nicht, welche jetzt die Damen- und welche die Herren-WCs sind, denn es ist nichts angeschrieben, aber zum Glück ist mir so etwas egal. Am Klo kann man übrigens etwas über österreichische Geschichte lernen: Wie haben Toiletten vor über 50 Jahren ausgesehen? Irgendwie erinnert mich das an den Klomuseumsbesuch in Gmunden – mit dem Unterschied, dass ich hier in den Genuss einer echten Live-Vorführung komme.

Gut, ich beeile mich zurück ins Zimmer und hoffe, dabei niemandem mehr zu begegnen. Das Ganze ist so schon unangenehm genug. Im Zimmer zieht es, Internet habe ich in dieser Kammer sowieso nicht, also habe ich die Wahl, es mir am abgesessenen Lehnsessel (un)gemütlich zu machen, oder einfach zu kapitulieren. Nachdem ich vermutlich ohnehin bald wieder angerufen werde, entscheide ich mich für Letzteres und mache kurz die Augen zu. 

01:00: Das Handy läutet. Es handelt sich um eine Aufnahme. Ich versuche, mich in der Finsternis des Zimmers anzuziehen. Auch hier gibt es kein Licht. Die Deckenlampe ist seit drei Wochen kaputt. Irgendwie ist das aber auch schon egal, der Lampenschirm ist dermaßen verstaubt und vergilbt, dass eine Inbetriebnahme wohl keinen Unterschied machen würde. Ein Nachttischlicht gibt es selbstverständlich auch nicht. Zum Glück habe ich ja die Taschenlampe vom Handy.

04:00: Mein Pager piepst „NOTSECTIO“. Mein Puls schnellt sofort auf 200 hoch. Was steht da am Pager? „AAAAA“? Was mache ich jetzt? Soll ich rennen? Ich rufe die Assistenzärztin an. Sie hebt ganz entspannt ab – keine Notsectio also. Sie gibt mir den Hinweis, dass der Batteriestand des Pagers vermutlich schon niedrig sei. Großartig, woher bekomme ich jetzt Batterien? Abschalten kann ich das Ding auch nicht, und so piepst es alle fünf Minuten munter vor sich hin. Das war es dann mit dem Schlafen. Immerhin habe ich ein Telefon, hoffentlich hat das genug Akku. Es gibt hier nämlich nichts zum Aufladen, geschweige denn ein Zimmertelefon. 

06:30: Als ich den Pager gerade zum gefühlt hundertsten Mal stummschalten will, erreicht mich der Anruf „eilige Sectio“. Zum Glück war die Assistenzärztin so aufmerksam, mich eigens anzurufen. Ich mache mich also auf in den OP. Eine Menge Fruchtwasser auf die Schuhe bekommen, Blutspritzer auf der Covid-Maske – ich will nur noch duschen. Also ab ins Bad. Ich versuche auszublenden, wie unhygienisch hier alles ist. Schlimmer kann es nicht mehr kommen. Ich drehe das Wasser auf – zum Glück ist es warm.  Der Duschkopf ist so verkalkt, dass es in alle Richtungen sprüht. Jetzt gebe ich auf. Ich will nur noch nach Hause.

Nur noch 71 Dienste in diesem Jahr. 

Eine funktionierende und zeitgemäße Infrastruktur sollte eine unabdingbare Grundvoraussetzung unserer ärztlichen Tätigkeit in den Spitälern darstellen. Dabei ist nicht nur essentiell, dass die notwendigen Ressourcen für eine moderne Patient:innenversorgung vorhanden sind, sondern auch die Einrichtungen für unsere persönlichen Belange einen gewissen Mindeststandard erfüllen. Immerhin verbringen wir hier einen nicht unerheblichen Teil unseres Lebens.

Das Team Szekeres fordert daher, dass die notwendigen Umbau- und Modernisierungsarbeiten in unseren Spitälern endlich in Angriff genommen und auf einen zeitgemäßen und vor allem lebenswerten Stand gebracht werden.